Predigt beim Ökumenischen Gottesdienst 
zum Fest Christi Himmelfahrt 
auf dem Göttinger Markt
"Mensch - Natur - Technik! Weißt Du, wo der Himmel ist?"

Im Blick auf den Eröffnungstag der EXPO 2000 gerade an diesem christlichen Festtag befaßt sich die Predigt mit der Frage, was das Thema der EXPO mit dem Festgeheimnis von Christi Himmelfahrt zu tun haben könnte.

Seit 1851, also seit der ersten Weltausstellung in London,
geht es immer wieder um die Präsentation technischen Fortschritts.
Der Motor dafür war und ist die menschliche Neugier,
die in dem alten Holzschnitt ihren Ausdruck findet.
Dieser Holzschnitt stammt aus dem 19. Jahrhundert,
aus einer Zeit also, in der der Fortschrittsglaube ungebrochen war:
Der Mensch bricht aus der Enge dieser Welt aus
und erobert den Kosmos.
In einem damals noch ungeahnten Maße
ist diese Vision inzwischen Wirklichkeit geworden.
Soweit, so gut!

Auf den zweiten Blick jedoch steckt hinter dem Holzschnitt
noch eine weitergehende Aussage:
Der technische Fortschritt ermöglicht dem Menschen,
einen Blick in den „Himmel" zu tun.
Mehr noch: Er ermöglicht ihm,
sich seinen Himmel selbst zu schaffen,
den Menschheitstraum vom „Paradies" zu verwirklichen.
Seinen sozusagen „klassischen" Ausdruck fand dieses aberwitzige Unterfangen,
den Himmel auf die Erde zu holen,
in Goethes Gedicht vom Prometheus:

Bedecke deinen Himmel, Zeus,
mit Wolkendunst
und übe, dem Knaben gleich,
der Disteln köpft,
an Eichen dich und Bergeshöhn;
mußt mir meine Erde
doch lassen stehn
und meine Hütte, die du nicht gebaut,
und meinen Herd,
um dessen Glut
du mich beneidest...

Hier sitz‘ ich, forme Menschen
nach meinem Bilde,
ein Geschlecht, das mir gleich sei,
zu leiden, zu weinen,
zu genießen und zu freuen sich -
und dein nicht zu achten,
wie ich!

Aus der griechischen Prometheus-Sage wissen wir,
daß dies Unternehmen für Prometheus selbst zur „Hölle" wurde.
Und auch die Aufklärung stürzte den Menschen gleich zu Beginn
erst einmal in die Bluthölle der französischen Revolution. 
Im Rückblick auf das 19. und vor allem auf das 20. Jahrhundert
wissen wir, daß der Fortschrittsglaube janusköpfig ist:
Selbstverständlich freuen wir uns auch als Christen 
über die segensreichen Entwicklungen moderner Wissenschaft und Technik.
Im Dienste des Schöpfungsauftrages Gottes haben sie
für viele von uns mehr Lebensqualität gebracht.
Wir können und dürfen jedoch nicht übersehen,
daß auch die „Hölle" von Auschwitz
und die „Hölle" moderner Kriege
und die „Hölle" von Armut, Hunger und Unterdrückung in vielen Teilen der Welt
Ausgeburten des menschlichen Fortschrittsglaubens sind.

Wie konnte es dazu kommen?
Diese Frage muß uns beschäftigen am Eröffnungstag
jener Glitzershow, die uns die EXPO 2000 153 Tage lang präsentieren wird.
Publikumsmagnet der Weltausstellung von 1967 in Montreal
war das Original der Weltraumkapsel,
in der Juri Gagarin als erster Mensch
die Erde umkreiste.
Von ihm wird überliefert,
er habe auf die entsprechende Frage von Journalisten geantwortet:
„Einen Gott habe ich im All nicht angetroffen."
Atheismus hin, Atheismus her
steckt hinter dieser Auskunft 
- und schon hinter der Frage des Journalisten - 
ein Mißverständnis, an dem Christen nicht unschuldig sind:
Immer wieder haben nämlich auch Christen und die Kirche selbst
zwei Begriffe vom „Himmel" munter durcheinander geworfen:
Wir nennen zum einen das, was die englische Sprache mit „sky" ausdrückt, „Himmel";
zum anderen übersetzen wir auch das englische „heaven" mit „Himmel".
Beides aber sind total verschiedene Paar Stiefel:
„Sky" meint jenes All, in dem Gagarin meinte, keinen Gott getroffen zu haben.
„Heaven" dagegen bezeichnet den „Göttlichen Bereich".
Die Kirche selbst vermischte beides immer wieder dann,
wenn sie glaubte, auf Grund biblischer Texte 
naturwissenschaftliche Aussagen machen zu können.
Das eklatanteste Beispiel:
Die Verurteilung des Galileo Galilei.

Wenn wir heute, am Fest Christi Himmelfahrt vom „Himmel" sprechen,
dann muß unmißverständlich klar sein:
Christus gehört nicht in die Reihe der Raumfahrer.
Er ist vielmehr durch die Dunkelheit des Todes hindurch
auferstanden in das überwältigende Licht der Herrlichkeit Gottes.
Diese Wirklichkeit allerdings läßt sich nur im Glauben erahnen.
Sie entzieht sich dem Erfahrungszugriff eines Juri Gagarin
und ebenso sehr eines jeden Naturwissenschaftlers.
Daß wir - in der Nachfolge des auferstandenen Christus -
an dieser „himmlischen" Wirklichkeit teilhaben dürfen,
ist nicht das Ergebnis menschlichen „Fortschritts",
sondern ganz und gar ein Geschenk Gottes.

Jesus selbst spricht hier und da zwar auch vom „Himmel" naturwissenschaftlichen Sinn.
Z.B. wenn er sagt:
„Das Aussehen des Himmels könnt ihr beurteilen..."
oder „Himmel und Erde werden vergehen"
und „Die Sterne werden vom Himmel fallen".
Aber im Kern seiner frohen Botschaft 
geht es um jene göttliche Wirklichkeit, die gemeint ist,
wenn er immer wieder vom „Vater im Himmel" spricht,
oder wenn gesagt wird, bei seiner Taufe habe sich der „Himmel" geöffnet.
An dieser Stelle kommt zum Ausdruck:
Jesus selbst und vielleicht auch einige Umstehende
machten die Erfahrung: Hier ist Gott selbst im Spiel.

„Himmel" steht im jüdischen Sprachgebrauch häufig für Gott selbst,
weil man den Namen Gottes aus Ehrfurcht nicht ausspricht.
So findet sich bei Matthäus das Wort vom „Himmelreich",
wo andere vom „Reich Gottes" sprechen.
Und genau darum geht‘s am Fest Christi Himmelfahrt:
Das Leben dieses Menschen Jesus von Nazareth
hat seine Erfüllung gefunden in „Gottes Reich",
in „Gottes Herrlichkeit", im „Himmelreich"
oder ganz einfach im „Himmel".

Daher lautet die kritische Frage der beiden „Männer in weißen Gewändern"
an die Adresse der Jünger Jesu:
„Was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?"
Ein modernes geistliches Lied formt diese Frage um
in einen Glaubensappell an uns alle:
„Schaut nicht hinauf! Der Herr ist hier bei uns!"
Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde, 
wann das Reich Gottes komme, antwortete er: 
„Man kann nicht sagen: Seht, hier ist es!, oder: Dort ist es!
Denn: Das Reich Gottes ist (schon) mitten unter euch." (Lk.17, 20 f.).
Ein andermal sagt Jesus:
„Wenn ich die Dämonen durch den Geist Gottes austreibe, 
dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen." (Mt. 12:28).

Biblisch wird das Reich Gottes" oder eben der „Himmel"
auch „Neue Schöpfung" genannt:
„Wenn jemand in Christus ist,
dann ist er eine neue Schöpfung:
Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden." (2.Kor. 5, 17) -
hier schon und jetzt schon!
Also: Sucht das „Neue" nicht in einem vagen „Jenseits" von Raum und Zeit!
Gottes Zukunft hat schon begonnen -
vorausgesetzt, wir leben eine innere Verbundenheit mit Christus in der Gegenwart.

Wie gesagt:
„Schaut nicht hinauf! Der Herr ist hier bei uns!" -

Natürlich wissen wir wie Paulus:
„Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen." (2.Kor. 4, 7),
Natürlich wissen wir wie Paulus:
Die Vollendung von „Reich Gottes", von „Himmel" steht für uns noch aus.
Wir leben in der Spannung zwischen dem „Schon" und dem „Noch-nicht" des Himmels.
Diese Spannung allerdings verurteilt uns nicht zum passiven Warten.
Die Erneuerung, die an uns grundsätzlich in der Taufe geschehen ist,
kann und muß in dieser konkreten Welt erfahrbar werden:
Durch die Art und Weise, 
in der wir mit der Schöpfung umgehen,
in der wir miteinander umgehen,
in der wir auch die Technik einsetzen zur Bewahrung und Vollendung der Schöpfung,
in der wir die Errungenschaften der Wissenschaft nutzen für eine menschlichere Welt.

Die christlichen Kirchen werden auf der EXPO 2000 präsent sein.
Sie haben einen unverzichtbaren Verkündigungsauftrag.
Ihre Botschaft lautet:

1. Wissenschaft und Technik stehen im Dienst am Schöpfungsauftrag Gottes,
und damit im Dienst an der ganzen Schöpfung, 
also im Dienst an Mensch und Natur.
Wissenschaft und Technik können in dieser Dienstfunktion
Wesentliches zu einer menschlicheren Welt beitragen.
Und nur so können sie zugleich die Hoffnung 
auf die Erfüllung der Verheißungen Gottes stärken,
das Vertrauen darauf, daß die Bitte „zu uns komme Dein Reich" nicht ins Leere geht.

2. Der theoretische Ansatz, der im Thema der EXPO steckt, ist richtig.
Da steht nämlich eine Werteordnung dahinter: 
An erster Stelle steht der Mensch.
An zweiter Stelle die Natur.
Und erst an dritter Stelle steht die Technik,
die nicht Selbstzweck ist, sondern im Dienst der ganzen Schöpfung steht
und zumal im Dienst des Menschen.
Wenn nun in der Praxis diese Werteordnung auf den Kopf gestellt werden sollte,
wenn also in Hannover die Technik dermaßen in den Vordergrund rückt,
daß sie den Menschen in den Schatten stellt,
und daß die Rede von der Natur zum modischen Schönheitspflästerchen verkommt,
dann haben Christen Widerspruch einzulegen. 

3. Die Instrumentalisierung von Wissenschaft und Technik für den Versuch,
selbstherrlich und gottlos ein „Paradies auf Erden" zu schaffen,
ist auch in Zukunft zum Scheitern verurteilt und läuft Gefahr,
für unzählige Menschen die Erde zur „Hölle" zu machen. 

4. Der Christus-Pavillon im Zentrum der EXPO und alles, was dort geschieht,
setzt in sich schon ein unübersehbares Zeichen 
von Gottes unverzichtbarer Gegenwart in dieser säkularisierten Welt.

5. Das Kreuz über dem Christus-Pavillon verkündet die Botschaft von Gottes Solidarität
gerade mit den Zukurzgekommenen des sogenannten Fortschritts.

6. Wesensmerkmal von Gottes „Himmel" 
- auch in seinem noch ganz und gar unvollkommenen „Schon-hier-auf-Erden-anwesend-sein" -
ist die Option für die Armen, Kranken, Schwachen und Ausgegrenzten.
Wo sie unter die Räder geraten oder nur draußen vor bleiben - auch auf der EXPO! -
ist Gottes „Himmel" garantiert nicht. 

Wenn es den christlichen Kirchen und möglichst vielen engagierten Christen gelingt,
diese Botschaft in Hannover unüberhörbar und glaubwürdig einzubringen,
dann werden wir rückblickend vielleicht sagen können:
Das Fest Christi Himmelfahrt war ein guter Auftakt für die EXPO.

Amen.