Predigt zum Zweiten Adventssonntag 'A'
am 4.  Dezember 2017
Jes. 11, 1 - 10
Mt. 3, 1 - 12
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Ein Lied soll uns heute als Impuls zum Advent dienen.
Der Text stammt von Wilhelm Willms,
die Musik von Ludger Edelkötter:
„Alle Knospen springen auf, fangen an zu blühen“.

Dies Lied zählt zu den sogenannten ‚neuen geistlichen Liedern‘
und ist als solches auch sehr bekannt;
gilt allerdings kaum als Adventslied.

Singen wir es zu Beginn einmal ganz bewußt und nachdenklich
als ein Lied zum Advent:
 

Alle Menschen auf der Welt fangen an zu teilen.
Alle Wunden auf der Welt fangen an zu heilen.
Menschen teilen, Wunden heilen,
Knospen blühen, Nächte glühen.

Alle Augen springen auf, fangen an zu sehen.
Alle Lahmen stehen auf, fangen an zu gehen.
Augen sehen; Lahme gehen,
Menschen teilen, Wunden heilen,
Knospen blühen, Nächte glühen.

Alle Stummen hier und da fangen an zu grüßen.
Alle Mauern tot und hart werden weich und fließen.
Stumme grüßen, Mauern fließen,
Augen sehen, Lahme gehen,
Menschen teilen, Wunden heilen,
Knospen blühen, Nächte glühen.

Gleich in der ersten Strophe klingt die Weissagung des Jesaja an,
die wir soeben in der Lesung gehört haben:
„Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor,
ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht.“

Isai ist der Vater Davids, der das Idealbild eines Königs in Israel ist.
Aber das davidische Königreich ist zerstört,
das Nordreich untergegangen,
Jerusalem in seiner Existenz bedroht durch die Assyrer.
Wohin man auch blickt:
Krieg und Gewalt, Zerstörung und Unterdrückung.

In dieser beängstigenden Situation verheißt der Prophet Jesaja
einen neuen, von Gott geschenkten Anfang,
sozusagen einen neuen Frühling,
junges, knospendes Leben aus dem schon totgesagten
und vermodernden ‚Baumstumpf‘ des Volkes Israel.
Oder sagen wir besser und durchaus im Sinne des Jesaja:
Knospendes Grün und eine neue Blütenfülle
aus dem toten Baumstumpf der Menschheit überhaupt,
die immer wieder und bis auf heutigen Tag alles tut,
sich selbst zu vernichten.

Dieser neue Anfang, diese aufspringende Knospe, das junge Reis -
das ist nicht irgendeine Idee,
nicht eine neue politische Machtkonstellation;
das ist vielmehr ein konkreter Mensch, von Gott gesandter Mensch -
Gesandter Gottes, Gesalbter Gottes (der ‚Christos‘),
Messias, Erlöser…
Und der hat dann im Neuen Testament und für uns als Christen
einen Namen: Jesus von Nazareth, der Christus Gottes
und der Befreier und Erlöser der ganzen Menschheit
und des Kosmos überhaupt.

Er ist der ‚Kommende‘ – auch heute:
Advent / Ankunft Gottes ins unserer totgeweihten Welt:

Alle Knospen springen auf, fangen an zu blühen.
Alle Nächte werden hell, fangen an zu glühen.
Knospen blühen, Nächte glühen,
Knospen blühen, Nächte glühen.

Stille

Voll Sehnsucht schauten Menschen immer wieder aus
nach dem verheißenen Messias.
Nicht zuletzt deshalb strömten sie in Scharen zusammen,
um die Predigten Johannes‘ des Täufers zu hören;
denn der verkündete den, der da kommen soll.
[Von ihm sagte er: „Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich,
und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen.
Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.“ (Mt. 3,11)
„Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!“ (Mt. 3,3)]

Im Gefängnis des Herodes jedoch wurde auch Johannes
von Zweifeln geplagt und von der Sehnsucht nach dem Messias erfüllt.
So schickte zwei seiner Jünger zu Jesus mit der Frage:
„Bist du der, der kommen soll,
oder müssen wir auf einen andern warten? 
Jesus antwortete ihnen:
Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: 
Blinde sehen wieder, und Lahme gehen;
Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf,
und den Armen wird das Evangelium verkündet.“ (Mt. 11, 3-5)

Genau diese Antwort Jesu gibt das Lied von Ludger Edelköptter
auch allen Suchenden heute und den von Zweifeln Geplagten
und nicht zuletzt auch uns:

„Alle Menschen auf der Welt fangen an zu teilen.
Alle Wunden auf der Welt fangen an zu heilen.
Alle Augen springen auf. fangen an zu sehen.
Alle Lahmen stehen auf, fangen an zu gehen.“

Stille

Von Ludger Edelkötter stammt übrigens auch ein Musical
mit dem Titel: „Unterwegs in das Land der Verheißung“.
Auf diesem Weg in das Land der Verheißung
begegnen uns Menschen, die wieder sehen, und die anfangen zu teilen;
es begegnen uns Lahme, die aufstehen und wieder anfangen zu gehen.
Auf diesem Weg ins Land der Verheißung erfahren wir,
daß Wunden geheilt werden.

Und doch ist dieses Lied zum Advent
kein Aufruf zu mehr Menschlichkeit,
keine Mahnung zu teilen oder auch zu heilen.

Dieses Lied ist vielmehr ganz einfach Ausdruck des Vertrauens
und Ausdruck eines unerschütterlichen Glaubens daran,
daß Advent auch heute geschieht,
daß der Messias, der Christus unseres Glaubens
und der Heiland unseres Lebens kommt - hier und heute,
und daß wir auf die Verheißung einer ‘heilen Welt‘,
auf die Verheißung des kommenden Reiches Gottes
bauen können - felsenfest,
allem, was dem scheint’s entgegensteht, zum Trotz.

Amen.