Predigt zum 4. Advent (C) am 21. Dezember 2003
Eine Predigt zur Adventskrippenszene: "Die Volkszählung zu Bethlehem".



Anknüpfungspunkte in der Sonntagslesung: Mi. 5, 1-4a 
Autor: P.Heribert Graab S.J.
 Für Christen der ganzen Welt 
 ist Bethlehem wohl der bedeutendste Ort auf der Landkarte - 
 Inbegriff dessen, was wir an Weihnachten feiern: 
 die Geburt Jesu Christi, des menschgewordenen Gottes. 

 Dagegen hebt die Lesung dieses vierten Adventssonntages 
 aus dem Propheten Micha ausdrücklich hervor, 
 dieses Bethlehem sei klein und ganz unbedeutend; 
 und ausgerechnet aus diesem „Nest" 
 solle der verheißene Messias, der Retter Israels hervorgehen. 
 Da klingt bereits ein Charakteristikum göttlichen Heilshandelns an: 
 daß nämlich gerade das Kleine zu Großem bestimmt ist. 

 In einem urchristlichen Hymnus wird Christus besungen 
 als der, der nicht daran festhielt, Gott gleich zu sein, 
 der sich vielmehr „entäußerte" 
 und wie ein Sklave wurde - den Menschen gleich. 
 Sein Leben war ganz und gar das eines Menschen. 
 Er erniedrigte sich, wurde ganz klein: 
 Ein Kind geboren zu Bethlehem, 
 ein Kind armer Leute, 
 geboren gar in einem Stall - 
 ganz und gar unbedeutend 
 in einem unbedeutenden Winkel dieser Welt. 

 Aber selbst bis in diesen unbedeutenden Winkel hinein 
 reicht der lange Arm der herrschenden Macht: 
 Auch hier werden die Personaldaten der Menschen bürokratisch erfaßt, 
 wird ihr Hab und Gut penibel in lange Listen aufgenommen, 
 um auch aus den Armen an Steuern und Abgaben herauszupressen, 
 was irgendwie herauszupressen ist. 

 Schon im Schoß seiner Mutter ist Jesus konfrontiert 
 mit der harten politischen Realität seiner Zeit. 
 Das versucht unsere Krippenszene 
 zur Volkszählung in Bethlehem deutlich zu machen. 
 Gott selbst wird Mensch nicht unter Ausnahmebedingungen. 
 Unsere Theologen sprechen von „Inkarnation". 
 Das bedeutet: Gott nimmt unser „Fleich" an. 
 Er spielt nicht Theater. 
 Er taucht vielmehr ganz und gar ein in unsere Leiblichkeit, 
 in unser Verflochtensein mit der Materie, 
 in unsere gesellschaftlichen Verflochtenheiten 
 und damit auch in all unsere Abhängigkeiten 
 nicht nur von den biologischen, sondern auch von den historischen 
 und politischen Bedingungen unseres Menschseins. 

 Unsere Krippenszene verdeutlicht, 
 wie wörtlich das zu verstehen ist, 
 daß Gott wirklich Mensch wird: 
 Er wird hineingeboren in unsere menschlich-allzumenschliche Welt, 
 in die Situation römischer Besatzung seiner Heimat, 
 in eine Bürokratie, die schon damals ein Instrument politischer Macht, 
 wirtschaftlicher Ausbeutung und militärischer Rekrutierung war. 

 Im Jahr 1566 hat Peter Bruegel d.Ä. diese Szene gemalt. 
 Er hat die Szene übertragen in die politische Situation seiner Zeit. 
 Bethlehem ist für ihn ein flämisches Dorf. 
 Eine wunderbar friedliche Landschaft bildet den Hintergrund: 
 Ein zugefrorener See, spielende Kinder auf dem Eis, 
 eine zauberhafte Morgenstimmung.


 Aber der Friede täuscht: 
 Rechts im Hintergrund eine Wehranlage, 
 die so gar nicht in dieses Dorf passen will. 
 Sie ist zerstört. 
 Die Sicherheit der Menschen ist brüchig. 
 Eine fremde Macht hat das Sagen im Lande. 
 Die Menschen sind schutzlos dem Willen der Fremden ausgeliefert. 

 Im Vordergrund ein Gasthaus. 
 Dicht gedrängt stehen Menschen davor. 
 Der Kaiser hat Befehl gegeben, 
 die Einwohner des Dorfes sollten ihren Besitz angeben 
 und dem fremden Herrscher Steuern zahlen. 
 Der aber hieß nicht Augustus, 
 sondern Philipp von Habsburg 
 und an dessen Stelle regierte in den Niederlanden 
 Margarethe von Parma mit harter Hand. 
 Schon Karl V. hatte die Niederlande 
 seine „fette Milchkuh" genannt. 
 Zu Philipps Zeiten zahlten die Niederlande 
 die Hälfte des Steueraufkommens im ganzen Reich der Habsburger. 
 So hat Bruegel rechts der Fenster eine Tafel angebracht, 
 die den habsburgischen Doppeladler zeigt. 

 Irgendwo zwischen all den Menschen und ihren Karren 
 können wir Maria und Josef entdecken. 
 Die beiden sind nicht herausgehoben aus der Menge der anderen. 
 Sie sind nicht deutlicher, nicht farbiger, 
 nicht größer gemalt als sie. 
 Es ist die Zeit, da Maria die Symbolgestalt der Herrschenden war. 
 Der Kaiser war der Verteidiger des katholischen Glaubens. 
 Der katholische Glaube hatte seine repräsentative Gestalt in Maria. 

 Bruegel will wohl sagen: 
 Mich interessiert nicht die von Maria dargestellte Machtkirche. 
 Mich interessiert die Mutter des Herrn, 
 diese einfache Frau aus Nazareth 
 und Josef, der Zimmermann. 
 Mich interessiert eine kleine Familie, 
 die zu den Wehrlosen gehörte und nicht zu den Mächtigen, 
 die nicht den Ausbeutern, sondern den Armen zuzurechnen war. 
 Denn auch das Kind, das sie trägt auf dem Weg zur Zählstelle, 
 wird einer der Wehrlosen und einer der Armen sein. 

 Diese Sicht Bruegels entspricht ganz und gar dem Bild, 
 das zum Beispiel der Prophet Micha in der Lesung wiedergibt. 
 Es entspricht auch dem Bild, das Lukas oder Matthäus 
 in ihren Weihnachtsevangelien malen. 

 Nach Micha wird die Regierung des angekündigten Herrschers 
 mit dem Handeln eines Hirten verglichen, 
 der seine Herde führt, schützt und versorgt. 
 Das ist alles andere als despotische Herrschaft, 
 wie sie Israel immer wieder erlebt hat, 
 und wie sie auch den Erfahrungen Pieter Bruegels entsprach. 

 Das Entscheidende bei Micha ist: 
 Der verheißene Messiaskönig weiß darum, 
 daß er nicht aus eigener Vollmacht regiert, 
 sondern „im hohen Namen Gottes". 
 Und darum kann von dem neuen Herrscher gesagt werden: 
 „Er wird shalom sein!" 
 Er wird Friede sein - 
 und das heißt: Allumfassendes Heil - 
 Wohlsein aller Dinge, Unversehrtheit, Ganzheit, Heil-Sein von Mensch und Welt - 
 und das in allen Bereichen der Wirklichkeit und des menschlichen Lebens. 

 Genau das aber meinen wir, 
 wenn wir einander in diesen Tagen 
 eine gesegnete, gnadenreiche und friedvolle Weihnacht wünschen. 

 Amen.