Predigt zum 3. Advent (C) am 14. Dezember 2003 
Lesungen: Zef. 3, 14- 17 und Phil. 4, 4-7 
 Evangelium: Lk. 3, 10-18 
 Autor: P.Heribert Graab S.J.
 Dieser Tage hat mir ein lieber Mensch eine Geschichte geschenkt, 
 eine wunderschöne Adventsgeschichte. 
 Sie kann uns diesen 3. Adventssonntag erschließen: 

 "Bitte warten Sie hier!" sagte ich zu dem Blinden  
 und ließ ihn an einer verkehrsgeschützten Ecke des Großstadtbahnhofes allein.  
 Ich wollte ihm das Gewühl ersparen  
 auf dem Weg zum Schalter, zu Auskunft, zur Fahrplantafel und zur Post.  

 Zurückkehrend sah ich ihn schon von weitem stehen,  
 während die Menschen an ihm vorbeihetzten,  
 ein Kind ihn anstarrte,  
 ein Gepäckkarren einen Bogen um ihn fuhr  
 und ein Zeitungsverkäufer nach einem irrtümlichen und vergeblichen Angebot  
 fast scheu wieder von ihm wegging.  

 Er stand ganz still, der Blinde,  
 und auch ich musste ein paar Augenblicke stehen bleiben.  
 Ich musste sein Gesicht ansehen.  
 Die Schritte um ihn her und die unbekannten Stimmen  
 und all die Geräusche eines lebhaften Verkehrs,  
 die schienen für ihn keine Bedeutung zu haben.  
 Er wartete.  
 Es war ein ganz geduldiges, vertrauendes und gesammeltes Warten..  
 Es war kein Zweifel auf dem Gesicht,  
 dass ich etwa nicht wiederkommen könnte.  
 Es war ein wunderbarer Schein der Vorfreude darin;  
 er würde bestimmt bei der Hand genommen werden.  
 Ich kam nur langsam los vom Augenblick  
 dieses eindrucksvoll wartenden Gesichtes mit den geschlossenen Lidern;  
 dann wusste ich auf einmal:  
 So müsste das Adventsgesicht der Christen aussehen.  

 Lassen Sie mich ein paar Verbindungslinien ziehen 
 zu den Schrifttexten dieses Sonntags: 

 Beide Lesungen ermutigen uns zur Freude. 
 Auch wenn in der Prophetenlesung sogar von jauchzendem Jubel die Rede ist, 
 geht es doch um eine tief im Herzen verwurzelte Freude, 
 deren Grund nicht wir selbst sind, 
 die uns vielmehr geschenkt ist durch einen anderen: 
 „Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte!" 

 Im Philipperbrief hören wir: 
 „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! 
 Noch einmal sage ich: Freut euch!" 
 Und wieder ist der Grund dieser Freude nicht bei uns selbst zu finden. 
 Vielmehr ist dies der Grund: 
 „Der Herr ist nahe!" 

 So ist auch für den Blinden der Grund seiner Freude nicht in ihm selbst, 
 sondern im Vertrauen darauf, 
 daß da ein anderer „nahe" ist - 
 jemand auf den er sich verlassen kann, 
 jemand, auf den zu warten sich lohnt, 
 jemand, der um ihn „besorgt" ist. 

 Eine weitere Parallele aller drei Geschichten: 
 Die Freude gewinnt die Oberhand  
 einem schwer zu ertragenden Schicksal zum Trotz: 
 Der Blinde ist mit seiner Behinderung geschlagen, 
 Paulus sitzt im Gefängnis, 
 das Volk Israel erlebt eine seiner schwersten Zeiten. 
 In jedem Falle aber dominiert die Freude: 
 Da ist jemand, dessen „Nähe" das Schicksal wendet. 

 Daraus ergeben sich Konsequenzen! 
 Zefanja ruft seinen Zeitgenossen zu: 
 „Fürchtet euch nicht!" 
 Laßt euch befreien von der lähmenden Angst! 
 Entdeckt mitten im Unheil die Zeichen des Heils! 
 „Laßt die Hände nicht sinken!" 
 Nehmt euer Leben wieder selbst in die Hand! 
 Gott selbst ist in eurer Mitte! 

 Paulus hat selbst erfahren: 
 Wenn der Herr nahe ist, hat das fruchtlose Sorgen ein Ende. 
 Wer um die Nähe Gottes weiß, 
 der kann all seine Sorgen Gott überlassen. 
 Und wer innerlich frei wird von der Last der Alltagssorgen, 
 wird zugleich frei für wahre Freude und inneren Frieden. 

 Genau diese Freude und dieser Friede spiegeln sich  
 offenkundig auch auf dem Gesicht des Blinden - 
 und eine ansteckende Güte, 
 die den Erzähler der Geschichte des Blinden animiert, 
 selbst ein gütiger, ein hilfsbereiter Mensch zu sein. 

 Freude - Güte - Frieden - 
 wo wir uns dafür öffnen, 
 wird auch heute Gottes Nähe erfahrbar. 

 Die Frage ist jedoch: 
 Erwarten wir überhaupt noch etwas, 
 was den Horizont unseres bisherigen Lebens übersteigt? 
 Ist uns die Erfahrung der Nähe Gottes wirklich ein Anliegen? 

 Von den Menschen zur Zeit des Johannes heißt es: 
 „Sie waren voller Erwartung!" 
 Aus dieser Erwartung heraus bedrängten sie Johannes: 
 „Was sollen wir tun?" 

 Die Antwort des Johannes bleibt aktuell bis auf den heutigen Tag! 
 Drei Gruppen von Fragenden greift Lukas heraus 
 und dann jeweils die Antwort des Johannes: 

 Da sind zunächst die einfachen Leute. 
 Ihnen empfiehlt Johannes: 
 Teilt, was ihr habt, Essen und Kleidung - 
 mit anderen Worten: 
 Schaut um euch, wem es schlechter geht als euch, 
 und helft, wo ihr könnt! 

 Die Zöllner werden darauf hingewiesen, 
 sich an die vorgegebenen Zolltarife zu halten 
 und nicht in die eigene Tasche zu wirtschaften 
 und niemand übers Ohr zu hauen. 

 Die Antwort an die Soldaten lautet: 
 Mißhandelt niemand, erpreßt niemand, 
 gebt euch mit eurem Sold zufrieden. 

 Vielleicht hatten die Fragenden ja gemeint, 
 sie müßten ein intensiveres religiöses Leben führen 
 - etwa so wie der Täufer selbst asketisch lebte - 
 um bereit zu sein für das Kommen des Messias, 
 um bereit zu sein für die Erfahrung der Nähe Gottes. 

 Nichts da! 
 Johannes weist sie alle ausschließlich hin 
 auf tätige Nächstenliebe, auf soziales Handeln 
 in ihrem alltäglichen Lebensbereich. 
 Nicht religiöse Sonderleistungen sind gefordert, 
 sondern nichts als eine schlichte Alltagsbewältigung 
 im Geiste Jesu Christi. 

 Und genau darum geht es auch in der Begegnungsgeschichte mit dem Blinden. 
 Entscheidend ist, 
 den Advent nicht mißzuverstehen als eine Zeit passiven Wartens. 
 Entscheiden ist, 
 nicht die Hände in den Schoß zu legen. 
 Vielmehr kommt es darauf an, 
 daß wir uns um Gerechtigkeit, Liebe 
 und um ein lebenswertes Leben für alle bemühen. 

 Gott kommt täglich auf uns zu 
 in den Menschen, denen wir begegnen, 
 in den Situationen, die unseren Einsatz fordern. 
 Wir dürfen - wie der Blinde - Vertrauen haben: 
 Gott begegnet uns, Gott ist uns nahe - 
 nicht nur Weihnachten, sondern Tag für Tag  
 in unserem ganz gewöhnlichen Leben! 
 Amen.