Predigt zur Christmette 2002
Dazu eine Lesung von Wilhelm Willms nach dem Propheten Ezechiel:

ezechiel
der prophet
sieht einen BAUM
einen großen üppigen baum
mit vielen vielen vielen schonen
blättern
ein baum der seine äste
und zweige ausbreitet
weit weit über das land
er sieht einen bäum
mit vielen vielen blättern
keine einzige frucht

und da plötzlich
erscheint am himmel
ein großer adler
im sturzflug
stößt er hinunter
auf den baum zu
und was will der adler
was tut er
er bricht aus der spitze des baumes
ein winziges reis heraus
ein winziges reis
das ganz zart-grün ist
mit knospen
ein reis noch voller hoffnung

und da trägt der große adler
dieses reis weg
weit weg
und pflanzt dieses reis
irgendwo im land
und das reis
das zarte grün
knospt und blüht
es hat wurzel geschlagen
es wächst empor zu einem baum
der frucht bringt
viel frucht
ein baum
in dem die vögel des himmels
ihm nester bauen

der alte baum
der große üppige
was ist mit dem
den sieht der prophet ezechiel
verdorren
absterben
er ist ganz schnell tot
wer hätte das gedacht
man räumt ihn weg
und er wird verbrannt

Schon seit Wochen ist unsere Stadt geschmückt
mit hunderten von Christbäumen.
In unseren Wohnungen gehören Christbäume
zur Weihnacht einfach dazu.
Auch aus unseren Kirchen sind sie in diesen festlichen Tagen
nicht wegzudenken.

Das war keineswegs immer so.
Im Mittelpunkt katholischer Weihnachtsfeiern
stand ursprünglich nur die Krippe,
die uns die Geschichte dieses Festes erzählt,
die Geschichte von der Geburt Gottes als Mensch.

Etwa seit dem 16. Jahrhundert
und dann vor allem im 19. und 20. Jahrhundert
trat der Christbaum immer häufiger neben die Krippe
und manchmal auch an die Stelle der Krippe.

Nur die wenigsten von uns wissen wahrscheinlich,
daß der Christbaum eigentlich eine Anspielung
auf den Lebensbaum des Paradieses ist -
auf jenen Baum also, 
der in der Mitte des Paradiesgartens stand,
und der ein Symbol göttlicher Lebenskraft war,
die der Schöpfergott uns allen schenken wollte.

Wir wissen aus dem Schöpfungsbericht der Bibel
und aus eigener Erfahrung,
daß Menschen sehr bald schon und immer wieder
diese Lebensfülle zerstört haben
durch Egoismus, Größenwahn und Gewalt gegeneinander.

Gerade in diesen Tagen lebt die Menschheit erneut 
in der Angst vor einem Krieg im Irak,
der nichts anderes als Brudermord bedeutet
wie in den Zeiten von Kain und Abel.

Gerade in diesen Tagen wird uns besonders schmerzlich bewußt,
daß ausgerechnet Bethlehem seit Jahren heimgesucht wird
von Terror und Krieg -
ausgerechnet Bethlehem 
- jene Stadt, die gerade an Weihnachten in aller Munde ist
als der Geburtsort Jesu Christi,
den wir als den Friedensfürsten feiern;
- jene Stadt, vor deren Toren die Engel den Hirten
die weihnachtliche Botschaft verkündeten:
„Ehre sei Gott in der Höhe
und Friede den Menschen auf Erden!"

Diese Botschaft behält zu allen Zeiten ihre Gültigkeit.
Diese Botschaft ist auch heute frohe Botschaft.
Diese Botschaft bleibt auch nach den Feiertagen unser aller Aufgabe.

Für diese Botschaft steht auch
der Christbaum als Lebensbaum.
Als ein immergrüner Baum
bezeugt er die Kraft des Lebens
auch in der Winterzeit von Tod und Gewalt.

Und seit es den Christbaum gibt,
tun gläubige Christen ein Übriges,
seine Symbolkraft als Lebensbaum zu verdeutlichen:
Sie schmücken ihn mit Lichtern.
Und die sagen uns:
Wir feiern die Geburt des wahren Lichtes
in aller Dunkelheit dieser Welt.
Wie es im Tagesevangelium des Weihnachtsfestes heißt:
„Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet,
kam in die Welt!"

Mehr noch:
Wir schmücken den Christbaum mit Früchten des Lebens,
mit Gaben, die wir einander schenken
als Zeichen jener Liebe, 
die Gott durch Seine Menschwerdung erneut in die Welt brachte.

Heute hängen vielfach glitzernde Kugeln und manchmal auch Firlefanz
an den Christbäumen.
Ursprünglich schmückte man den Christbaum
mit wohlschmeckenden Früchten,
vor allem mit Äpfeln.
Und damit war ein weiterer Bezug hergestellt
zu jenem Lebensbaum im Paradies,
dessen Früchte ja nach volkstümlicher Tradition Äpfel waren.

Früchte des Lebens also trägt der Christbaum:
Früchte der Liebe,
Früchte der Mitmenschlichkeit und der Gerechtigkeit,
Früchte des Friedens.

Mit diesen Früchten also laßt uns diesen Baum schmücken
- und auch den Baum unseres eigenen Lebens -
damit der nicht so ärmlich und nutzlos herumsteht,
so ärmlich und nutzlos wie jener Feigenbaum,
den Jesus verflucht,
weil er nichts als Blätter trägt
und keine Früchte, die satt machen.

Nicht viel mehr als Blätter von Papier
finden gar zu oft auch jene Menschen,
die am Baum unseres Gemeinwesens
Hilfe in ihrer sozialen Not suchen:
Bürokratie - Blätter, Blätter, Blätter...
Aber kaum etwas, was ihren Hunger 
nach Leben, Mitmenschlichkeit und Frieden stillt.
Wir sollten sie an Weihnachten nicht vergessen!

Vor allem aber wünsche ich Ihnen und uns allen,
daß die Botschaft des Christbaumes 
auch dann nicht in Vergessenheit gerät,
wenn die Bäume aus Kirchen und Wohnzimmern entsorgt werden
und der Alltag wieder einkehrt.
Denn gerade im Alltag gilt es,
wohlschmeckende und nährende Früchte zu tragen -
wie der Baum des Lebens:

Früchte des Glaubens an das Kind in der Krippe und sein Evangelium, 
Früchte des Vertrauens in eine von Gott geschenkte Zukunft,
Früchte der Liebe in den Familien,
in der Nachbarschaft, im Berufsleben,
in der Gesellschaft insgesamt
und - höre und staune - selbst in der großen Politik.

Amen.