Predigt zum 2. Adventssonntag (B) 
am 8. Dezember 2002
Lesung: 2.Petr. 3, 8-14
Evangelium: Mk. 1, 1-8
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Ein ganzes Dorf auf dem Weg nach Bethlehem!
Das ist das Thema des Adventsbildes in unserer Kirche.

Der Künstler, ein einfacher indischer Dorfmaler,
hat in seinem Bild nicht einfach christliche Tradition wiedergegeben.
Er hat vielmehr konkrete Erfahrungen seines Dorfes gemalt:

Dieses Dorf war gezeichnet von Armut und Trostlosigkeit.
Die Hütten waren Bruchbuden
und dem Zerfall preisgegeben.
Unter den Menschen herrschte eine Hoffnungslosigkeit,
die jeden dazu trieb,
nur an das Heute zu denken
und an das eigene Überleben.
Das äußere Bild des Dorfes
war zum Spiegelbild geworden
für die Dorfbewohner selbst:
Auch deren Gemeinschaft war auseinandergefallen.

Das änderte sich erst,
als ein Jesuitenpater die Initiative ergriff
und Hilfe zur Selbsthilfe leistete.
Baumaterial für ihre Hütten stellte er den Menschen zur Verfügung,
den Wiederaufbau leisten mußten sie selbst -
und das nicht jeder für sich und seine Familie!
Alle Hütten wurden gemeinsam von allen für alle gebaut.
Und erst als die letzte Hütte fertig war,
wurden gemeinsam alle Hütten
unter die verschiedenen Familien aufgeteilt.

So vollzog sich nicht nur äußerlich
der Wiederaufbau eines ganzen Dorfes,
sondern durch den gemeinsamen Weg 
zu einem gemeinsamen Ziel
entstand auch die Dorfgemeinschaft ganz neu.

Der selbst behinderte Dorfmaler
hat diesen Prozeß des miteinander Auf-dem-Weg-sein
gedeutet als einen gemeinsamen Weg nach Bethlehem,
als einen gemeinsamen Weg zum Menschsein
und damit zum menschgewordenen Gott.

Der springende Punkt:
Auf diesen gemeinsamen Weg wurden alle mitgenommen:
Männer und Frauen, Junge und Alte, Kinder und Greise,
und der Behinderte auf seinem Wägelchen 
genau so wie die Gesunden und Arbeitsfähigen.

Was da im Bilde festgehalten ist,
entspricht genau jener Umkehr, die Johannes predigt:
Es ist eine Umkehr aus der Vereinzelung 
in ein Miteinander und Füreinander,
eine Umkehr von Egozentrik und Egoismus 
zur gelebten Solidarität,
und damit eine Umkehr von der Hoffnungslosigkeit
zu einem zuversichtlichen Blick ind Zukunft.

Das griechische Wort für Umkehr heißt „metanoia",
und das bedeutet wörtlich „Umdenken".
Nichtdas äußere Geschehen ist wichtig,
sondern der innere Prozeß des Umdenkens 
eines jeden Einzelnen und der Gemeinschaft als ganzer.

Einen vergleichbaren Prozeß hat es bei uns
wohl in der Aufbauphase nach dem zweiten Weltkrieg gegeben:
Nicht so sehr die sogenannte „Entnazifizierung" hat dazu beigetragen,
sondern die gemeinsame Not 
und der gemeinsame Wille,
etwas Neues zu schaffen,
in dem sich menschlich zusammenleben läßt.

Wir verdanken dieser Zeit und dieser Generation
nicht in erster Linie ein Land, das aus Ruinen erstand; 
wir verdanken dieser Zeit vor allem
eine neue Gesellschaftsordnung,
die ihren Niederschlag gefunden hat im Grundgesetz
und in einer christlich orientierten Sozialgesetzgebung,
die es grundsätzlich allen erlaubt, menschlich zu leben.
Es dürfte kein Zufall sein,
daß in jenen Zeiten unsere Kirchen brechend voll waren.
Auch damals kam übrigens eine wichtige Initialzündung von außen.
Dafür steht zum Beispiel das Stichwort „Marshallplan".

Die Zeiten haben sich geändert!
Allem aktuellen Gejammere zum Trotz -
Deutschland ist nicht nur ein wohlhabendes,
sondern ein reiches Land.
Niemals in unserer Geschichte
war der private Reichtum so groß wie heute.
Kaum jemals gab es jedoch auch einen so massiven Einbruch
solidarischen Denkens und Handelns.
Die sogenannte „Globalisierung"
bezieht sich ausschließlich auf eine gewinnorientierte Wirtschaft.
Die sozialen Errungenschaften der Nachkriegszeit
geraten mehr und mehr ins Hintertreffen,
weil soziale Minimalstandards globalisiert werden.

So sehr wir den Amerikanern dankbar waren und sind
für ihre äußere und innere Wiederaufbauhilfe damals,
so sehr ist es heute notwendig,
ihren Neokapitalismus-Import 
deutlich der Kritik zu unterziehen.
Und wieder ist es die Kirche,
die warnend zur Umkehr ruft.
Papst Johannes Paul hat mehrfach deutliche Worte gesagt
zu jenem angestrebten Krieg im Irak,
der letztendlich wirtschaftlichen Interessen dient.
Und kürzlich noch hat Erzbischof Lajolo,
der Nuntius des Vatikans,
unseren Bundeskanzler - jedenfalls in dessen Haltung zum Irakkrieg - 
massiv unterstützt.

Hintergrund der Umkehrmahnung des Papstes
gerade in sozialpolitischen und friedenspolitischen Fragen
ist jene Verheißung eines „neuen Himmels und einer neuen Erde",
die wir soeben in der zweiten Lesung gehört haben.
Diesen „neuen Himmel" und diese „neue Erde"
nennen wir auch „Reich Gottes".
Und davon bekennen wir, es sei schon angebrochen
und damit auch in unsere Verantwortung gegeben.
Zum Charakteristikum dieser neuen Wirklichkeit Gottes
sagt die Lesung:
in ihr wohne Gerechtigkeit.
Und weil wir auf diese neue Wirklichkeit Gottes warten,
sollen wir uns darum bemühen,
„ohne Makel und Fehler und in Frieden angetroffen zu werden".

Nun stellen sich abschließend zwei Fragen:

Erstens: Wo muß die Umkehr zu Gerechtigkeit und Frieden beginnen -
bei jedem Einzelnen von uns oder in der Gesellschaft und in deren Politik?
Diese Frage scheint mir vergleichbar zu sein
mit jener berühmten Frage,
was denn zuerst sei - das Huhn oder das Ei. 
Die Gesellschaft wird nicht umkehren, wenn wir nicht umkehren.
Umgekehrt allerdings zieht ein gesellschaftliches Klima,
das bestimmt ist durch Gewinnmaximierung und Eigennutz,
den Einzelnen immer wieder in seinen Sog.
Es ist daher unerläßlich,
auch an einer gesellschaftlichen Umkehr aktiv mitzuwirken.

Die zweite Frage ist schwieriger zu beantworten:
Warum scheint Umkehr nur möglich zu sein,
wenn Einzelne oder auch eine Gesellschaft
ganz tief unten im Dreck stecken?
In jenem indischen Dorf war dies die Ausgangsposition
und bei uns 1945 nicht anders.
Umkehr aus einer Wohlstandsposition heraus
erscheint schon in den Augen Jesu als nahezu unmöglich:
„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr..."
Wenn das schon Jesu Meinung ist,
dann können wir nur hoffen gegen alle Hoffnung,
es möge auch einmal anders kommen.
Jedenfalls können wir unserer Welt nur wünschen,
daß sie nicht erst eine Katastrophe hinter sich bringen muß,
bevor sie umkehrt.
Und uns gegenseitig können wir nur mahnen
mit jenem Ernst, der in den Worten Johannes des Täufers liegt;
aber auch mit dem Vertrauen, das in seinen Worten mitschwingt:
Nach mir kommt einer, 
der euch mit dem Heiligen Geist taufen wird. 

Amen.