Predigt anläßlich des 75. Todestages
von P. Jón Svensson SJ, "Nonni"
in der Magdalenen-Kapelle, Köln-Melaten
am 16. Oktober 2019
Schrifttext: Der Sendungsauftrag Jesu (Lk. 10, 1-21 und Mk. 16, 15-20, jeweils gekürzt)
Autor: P. Heribert Graab SJ
Vermutlich verbindet viele von uns
die Erinnerung an jene Nonni-Bücher,
die wir als Kinder und Jugendliche begeistert gelesen haben.

Erst viel später habe ich darüber nachgedacht,
was mich eigentlich bei dieser Lektüre so in Bann geschlagen hat
- abgesehen natürlich von der faszinierenden Erzählkunst Nonnis.
Heute meine ich, es war vor allem die Freiheit,
die Nonni in seiner Kindheit erfahren hat,
und die sich in seinen Erzählungen spiegelt.
Und es war die abenteuerliche Weite seiner isländischen Heimat,
die er mit seinem Bruder Manni zu Lande und zu Wasser,
auf seinem kleinen Island-Ponny
und bei Ruder- und Segelfahrten auf dem atlantischen Meer erkundete
und in sich aufnahm.

Nachdem er gelernt hatte zu lesen,
fesselten ihn  vor allem Bücher,
die ihm eine Ahnung vermittelten
von der unvorstellbaren Weite der Welt
und von der Vielzahl fremder Völker.
So wuchs in ihm die tiefe Sehnsucht,
diese weite Welt selbst zu ‚er-fahren‘
und den Menschen dort zu begegnen. 

Geprägt wurde Nonni auch von der Weite des Denkens seiner Mutter
und - jedenfalls in Bezug auf seine ökumenische Grundhaltung -
von der Weite des evangelischen Pfarrers seiner Kindheit:
Regelrecht aus der Zeit gefallen scheint mir
die positive Einstellung beider
in ihrem Urteil über die katholische Kirche.

Rückblickend meine ich,
darüber hinaus habe mich damals schon als ‚fast-noch-Kind‘
jene Heiterkeit und das kindliche Glück angesprochen,
das die Erzählungen Nonnis über seine
scheint’s so unbeschwerte Kindheit in Island atmen.
Auch da ist mir erst viel später zu Bewußtsein gekommen,
wie sehr dieser Eindruck kontrastiert
mit all der Armut, dem Elend und der Erfahrung von Leid und Tod,
die diese Kindheit gleichzeitig überschatten.

Eine glückliche Veranlagung und vor allem
die liebevolle Erziehung seiner Mutter dürften der Grund sein
für den so positiven Grundklang von Nonnis Erzählungen.
Dies und die tiefe Frömmigkeit seiner Mutter
erklären vielleicht auch, daß Nonni schon während der Jahre in Island
in einer lebensbedrohlichen Situation auf die Idee kam,
Gott für den Fall seiner Errettung zu versprechen,
‚Missionar‘ zu werden.

So unwahrscheinlich das auch anmutet,
dieses Versprechen sollte Jahrzehnte später sogar Wirklichkeit werden -
wenn auch auf eine etwas andere Art, als von Nonni intendiert.
Er schrieb über seine „Mission“ zu den Menschen:
„In meinen Büchern wollte ich alle meine Leser
zur wahren Freude und zum Glück
schon in diesem Leben hier auf Erden führen,
also die wahre, große echte Lebensfreude fördern.“

So konnte er durch seine Erzählungen
etwas von den beglückenden Erfahrungen
jenes Dreiklangs von Freiheit und Geborgenheit
auf der Grundlage von gläubig-frommen Gottvertrauen
an unzählige Menschen rund um den Erdball weitergeben.

Diese Art seiner Mission ist sicher nicht 1:1 gleichzusetzen
mit der Sendung Jesu im Evangelium.
Noch weniger hat sie allerdings zu tun
mit dem Missionsverständnis der Katholischen Kirche
im 19. Jahrhundert.
(In diese Kirche war Jón Sveinsson als 14-Jähriger
in Dänemark konvertiert.)

Wohl aber denke ich:
Indem Nonni es als seine - bewußt christliche - Mission versteht,
diese Welt glücklicher zu machen,
liegt er damit ziemlich genau auf der Linie dessen, was Jesus meint,
wenn Er immer und immer wieder das Reich Gottes verkündet.
Diese verheißene und schon angebrochene Wirklichkeit Gottes
ist im Verständnis Jesu
eine von Frieden, Gerechtigkeit und Liebe erfüllte Welt -
eben eine glückliche Welt.

Natürlich drängt sich da die Frage auf,
wie Nonni für sich die enorme Spannung aufgelöst hat
zwischen seinem von Freiheit und Weite
geprägten Glücks-Verständnis einerseits
und dem sehr engen und beängstigenden Heilsverständnis der Kirche
und einer dementsprechend enggeführten Theologie andererseits.

Diese Frage ist im Hinblick auf die katholische Kirche
auch heute hochaktuell:
Denn die Spannung zwischen Weite und Enge,
zwischen Freiheit und autoritärer Eingrenzung des Glaubens
führt auch heute noch zu teils heftigen
und wenig liebevollen Auseinandersetzungen
zwischen theologischen, bzw. pastoralen Positionen,
die sich einmal z.B. auf Papst Franziskus berufen
oder gegen ihn etwa auf...

Welchen Rat könnte Nonni in dieser Situation der Kirche
auf dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen geben?

Es mag verwundern, daß ich für eine Antwort auf diese Frage
ausgerechnet auf Nonnis Kindheitserzählungen zurückgreife.
Aber selbstverständlich spiegeln diese Erzählungen
nicht nur all das, was ihn in seiner Kindheit grundlegend geprägt hat;
vielmehr fließen da - bewußt oder unbewußt - auch Erfahrungen mit ein,
die der Autor dieser Erzählungen als Erwachsener gewonnen hat.

Vor allem dürfte Nonnis Rat auch heute lauten:
Vertraut in jeder Situation auf den gütigen und liebevollen Gott!
Selbst in negativen und schmerzhaften Erfahrungen
seht Ihn am Werke und vertraut Ihm,
daß Er Euch nicht im Stich läßt.
Erinnern Sie sich an das Evangelium von jenem epileptischen Jungen,
um dessen Heilung dessen Vater Jesus bittet:
„Ich glaube, Herr; hilf meinem Unglauben!“ (Mk. 9,24)
Dementsprechend müßten wir
im Sinne Nonnis sehr oft wohl beten:
„Ich vertraue, Herr; hilf mir in meinem skeptischen Mißtrauen!“

In diesem Vertrauen, und wie er es seiner Mutter versprochen hatte,
hat Nonni täglich das Morgen- und Abendgebet gepflegt.
Aber auch an das ignatianische „Gott in allem finden“
erinnerte ihn des öfteren seine Mutter in ihren Briefen:
„Gott sei dir alles in allen Dingen!“
Nonni bemerkt dazu: „Das war eine der Perlen ihrer Ratschläge.“
Er selbst dürfte diesen Rat auch an uns weitergeben
und nicht zuletzt an all die,
die heute (wie er damals oft genug) an dieser Kirche leiden.

Schließlich würde er uns allerdings auch raten,
„mit guten Augen“ auf die alltägliche Wirklichkeit zu schauen,
immer wieder neu das Gute und Beglückende zu entdecken
und auch anderen dafür die Augen zu öffnen -
wie er selbst es mit seinen Büchern getan hat
und mit unzähligen Vorträgen und mündlichen Erzählungen
rund um den Erdball.

Amen.