Predigt zum 5. Sonntag im Jahreskreis B
am 8. Februar 2005
Lesung: Ijob 7, 1-4.6-7
Evangelium: Mk. 1, 29-39
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Gleich zu Beginn Seines öffentlichen Wirkens
ist Jesus konfrontiert mit all dem Leid und all dem Elend
der Menschen Seiner Zeit.
Gewiß gibt es heute bei uns nicht weniger Elend;
aber Jesus ‚stolpert‘ regelrecht darüber,
es drängt sich Ihm auf, es läuft Ihm nach.
Bei uns dagegen wird all das Schlimme möglichst versteckt;
wir kennen es häufig nur aus der Zeitung.

Und doch: Früher oder später,
die einen mehr, die anderen weniger -
sind auch wir ganz existentiell und bedrängend betroffen
von Krankheit und Leid,
von körperlichem oder geistigem Elend und Verfall,
von Not und Tod im engsten Familien- und Freundeskreis.

Dann überfällt uns irgendwann jene Dunkelheit,
die über weite Strecken das Leben des Ijob verfinsterte.
Eine seiner bewegenden Klagereden haben wir in der Lesung gehört:
„Monde voll Enttäuschung wurden meine Erbe,
und Nächte voller Mühsal teilte man mir zu…
Schneller als das Weberschiffchen eilen meine Tage,
der Faden geht aus, sie schwinden dahin…
Nie mehr schaut mein Auge Glück.“

Das dürfte das Schlimmste sein:
Sein Leben ertrinkt in Hoffnungslosigkeit.
Was bleibt, wenn alles verlorenging?
Wer bleibt?
Selbst Gott, auf den er vertraute, hat ihn verlassen;
mehr noch: Gott ist sein Feind geworden.
Gott selbst scheint ihn zu vernichten.

Es gibt Situationen, in denen auch uns die bohrende Frage umtreibt:
•    Warum?
•    Warum gerade ich?
•    Warum hat Gott mich verlassen?
•    Warum geht mein inständiges Beten ins Leere?
Gerade als Priester werde ich nicht selten vor diese Frage gestellt
und muß dann sagen:
Ich weiß keine Antwort!
Und: Es gibt wohl auch keine Antwort!

Da fällt ‚zufällig‘ ein Stein von einer hohen Mauer herunter
und erschlägt ein Kind, das unten spielt.
Da wird jemand von einem tödlichen Virus ‚erwischt‘,
Ärzte kämpfen vergeblich dagegen an,
die Patientin stirbt und hinterläßt eine Familie,
die die Mutter dringend braucht.
Warum?
Hat es Sinn, gegen die Naturgesetze anzubeten,
die in der Schöpfung grundgelegt sind?
Wir sagen heute, die Schöpfung sei längst nicht abgeschlossen.
Eine Schöpfung also im Entstehen.
Und alles, was lebt, und zumal wir Menschen
leiden unter den Unvollkommenheiten dieser ‚Schöpfung im Werden‘.
Wie kann Gott das zulassen?
Wem hilft da der alte Verweis auf die ‚Erbsünde‘,
auf die Bosheit also, der gerade wir Menschen
Tür und Tor in diese Welt hinein geöffnet haben?

Viel Leid und Elend gehen fürwahr auf Menschen zurück, auf menschlichen Egoismus, auf das Haben-wollen,
auf Machtgier, Fanatismus und Gewalt.
Der freie Wille des Menschen,
der uns vom Schöpfer geschenkt ist um unserer Würde willen,
führt immer und immer wieder zum krassen Gegenteil -
zu erschreckender Unmenschlichkeit.
Auch der Mensch, die ‚Krone der Schöpfung‘,
ist noch längst nicht ‚fertig‘.
Wie weit es noch ist bis zum wahren Menschen,
können wir ermessen, wenn wir auf das ‚Urbild‘ des Menschen schauen,
auf Jesus, nach dessen Bild und Gleichnis wir geschaffen sind.
Jedenfalls dürfte unser Denken in die falsche Richtung gehen,
wenn wir von Gott erwarten, Er möge doch bitte
die Idee eines freien menschlichen Willens aufgeben.

Insgesamt also führt unser Grübeln
und unser Fragen nach dem ‚Warum‘ zu nichts.
Was also tun?
Resignieren? All unsere Hoffnung begraben?
Unseren Glauben an den Nagel hängen?

Im Alten Testament, zumal in den Psalmen, aber auch im Buch Ijob
greifen Menschen angesichts unsagbaren Leids
nicht selten zur Klage,
die oft sogar zur Anklage gegen Gott und zum Protest wird.
Vordergründig betrachtet mag Klage, Anklage und Protest
mir Erleichterung verschaffen.
Entscheidend aber ist das Ringen mit Gott,
das mich selbst verändert,
das beim biblischen Menschen oft zu einem bewußten ‚Ja‘ führt -
wohlgemerkt kein ‚Ja‘ zum Leid,
wohl aber ein ‚Ja‘ zum Willen Gottes.
Dieses ‚Ja‘ zu Gottes Willen ergibt sich
aus der neu gewonnenen Erkenntnis:
Wie Gott in der Geschichte Seines Volkes
immer wieder Wege zum ‚Heil‘ erschlossen hat,
so darf ich auch heute darauf vertrauen:
Gott wirkt letztendlich ‚Heil‘.

Aus diesem Grundvertrauen betet auch Jesus am Ölberg:
„Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir!
Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.“ (Lk. 22,42)
Das Leid blieb Ihm nicht erspart.
Der machtegoistisch geprägte, freie Wille Seiner Gegner
setzte sich durch.
Wohl aber heißt es im Lukasevangelium weiter:
„Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und gab ihm (neue) Kraft.“
Noch wichtiger aber war etwas,
was dieser von Angst geschüttelte Mensch Jesus
in diesem Augenblick wohl noch nicht klar sehen konnte:
Sein ‚Ja‘ zum Willen des Vaters war der entscheidende Schritt
auf dem Weg zur ‚Erlösung‘ dieser leidgeplagten Welt
und zu deren Vollendung im ‚Reich Gottes‘.

Schon die Begegnung Jesu mit dem Leid und Elend der Menschen
im heutigen Evangelium motiviert Ihn zum Beten:
„In aller Frühe, als es noch dunkel war, stand Er auf
und ging an einen einsamen Ort, um zu beten.“
•    Er sucht die Nähe des Vaters.
•    Er braucht das Gebet, um Kontakt zu finden zum Willen Gottes.
•    Aus dem Gebet gewinnt Er für sich selbst Klarheit und Kraft.
•    Aus dem Gebet heraus kann Er dann selbst
das Notwendige und Mögliche tun,
um ‚Dämonen‘ zu vertreiben und Leid zu überwinden.

Wie schon am vergangenen Sonntag gesagt:
Jesus kann in dieser Zeit nicht alles Leid dieser Welt beseitigen.
Aber aus der Kraft des Gebetes lindert Er viel Leid
und verändert Er vor allem die Herzen vieler Menschen,
so daß sie sich ab jetzt in den Dienst der guten Zukunft Gottes stellen.

So können auch wir in Glauben, Vertrauen und Liebe
eigenes und fremdes Leid lindern,
Armut und Not überwinden,
Gerechtigkeit, Versöhnung und Frieden initiieren.
So können auch wir - statt im Leid zu ertrinken -
mitwirken an der neuen Welt Gottes,
in der schließlich Leid und Tod überwunden sind.

Amen.