Predigt zum 26. Sonntag im Jahreskreis (B)
am 30. September 2012
Lesung:  Num. 11, 25 - 29
Autor: P.Heribert Graab S.J.
Der Ordnungsrahmen unseres Zusammenlebens
ist sehr klar und oft auch sehr eng abgesteckt:
Da gibt es gibt es Berechtigungsnachweise -
vom Führerschein über Ausbildungszertifikate
bis hin zur Ernennungsurkunde für diese oder jene Funktion.
Da gibt es Zuständigkeiten für sauber gegeneinander abgegrenzte
Tätigkeits- und Verantwortungsbereiche.
Wehe - es ergreift einer Eigeninitiative
und kommt damit möglicherweise einem anderen in die Quere!
Wir alle haben schon mal Sprüche gehört wie:
“Dafür bin ich nicht zuständig”;
oder auch umgekehrt: “Schuster, bleib bei deinem Leisten!”
Dieses Zuständigkeitsdenken begegnet uns
in der Gesellschaft gleichermaßen wie in der Kirche.

Auf dem Hintergrund solcher Erfahrungen
fiel mir in der heutigen Lesung die Kritik des Mose an Josua auf:
Josua hatte Mose aufgefordert,
diese beiden Männer Eldad und Medad
an ihrer prophetischen Tätigkeit zu hindern;
denn die beiden gehörten schließlich nicht zu den siebzig “Ältesten”.

Mehr noch hat mich an der Antwort des Mose
dieser Satz nachdenklich gemacht:
“Wenn doch nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde,
wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte!”
Sie werden leicht nachvollziehen können,
daß mir dabei auch unsere Kirche heute in den Sinn kam.

Aber nehmen wir uns zunächst ein wenig Zeit für die Frage:
Was ist eigentlich die Aufgabe eines Propheten
oder auch einer Prophetin?

Zunächst einmal ist festzuhalten:
Prophetie hat nichts mit Hellseherei oder gar mit Magie zu tun.
Soweit Propheten Zukünftiges ansagen,
sagen sie Gottes Zukunft an -
und zwar als Kontrastwirklichkeit zur ‘Sünde dieser Welt’,
also konkret als Einspruch gegen all das,
was die Wirklichkeit unserer Welt hier und heute
so unmenschlich macht.
Genau in diesem Sinne hat Jesus als ‘Prophet’
das kommende ‘Reich Gottes’ angesagt
und es jetzt schon - mitten in der alten Wirklichkeit - gelebt.

Sodann ist prophetische Rede geprägt von einer Freiheit,
die sich einzig und allein der Wahrheit Gottes verpflichtet weiß.
Ein Prophet redet frei heraus -
auch dort, wo er den Widerspruch dieser Welt herausfordert.
Indem er - sei es gelegen oder ungelegen -
in dieser Welt für Gottes Heilszusage eintritt,
entlarvt er zugleich die mächtigen Gewalten dieser Welt
und entwaffnet sie vielleicht sogar. (cf. Kol. 2,15).
Auch richtet er sich
gegen alles Verheimlichen und Verdrängen derjenigen,
die Gottes Wahrheit nicht wirklich wahrhaben wollen -
in der Welt, wie übrigens auch in der Kirche.

Diese Freiheit nimmt sich der Prophet nicht selbst;
sie ist ihm geschenkt:
Sie beruht letztlich auf der Freiheit des Gottesgeistes,
in dessen Dienst ein prophetischer Mensch steht.
Gottes Geist weht, wo Er will -
selbstverständlich auch im ‘kirchlichen Lehramt’.
Auch dort gibt es sehr wohl prophetische Rede.
Allerdings nicht nur dort!
Echte Prophetie begegnet uns ebenso
als amts- und institutionenkritisches Charisma.
Nicht von ungefähr zählt Paulus in seinem 1. Korintherbrief
die verschiedenen Dienste in der Kirche
gleichrangig nebeneinander auf:
Apostel, Propheten, Lehrer,
Menschen mit der Gabe zu heilen, zu helfen oder auch zu leiten
und viele andere.
Man muß auf die Tatsache, daß Paulus die Leitungsfunktion
erst an siebter Stelle nennt, kein besonderes Gewicht legen;
wohl aber kommt es ihm darauf an zu betonen,
daß in allem Gottes Geist wirksam ist,
und daß durch den Geist alle Glieder des Leibes eine Einheit bilden
und sich gegenseitig ergänzen:
Z.B diejenigen, die in der Kirche Leitung wahrnehmen,
und nicht weniger diejenigen,
die in eben dieser Kirche prophetisch reden.
Sie alle brauchen einander und sind aufeinander angewiesen.
                        (cf. 1. Kor. 12, 12-28 und 14, 1 ff).

Mit dem, was Paulus über die Prophetie sagt,
rückt er übrigens ganz in die Nähe der Worte des Mose,
die wir eben gehört haben:
Paulus sagt: “Strebt nach den Geistesgaben,
vor allem nach der prophetischen Rede!
Ich wünschte, Ihr alle würdet... prophetisch reden.” (1. Kor. 14, 1.5)
Paulus begründet diesen Wunsch so:
“Wer prophetisch redet, ...baut auf, ermutigt, spendet Trost.” (14, 3)

Ich muß nicht näher ausführen,
wie sehr die Prophetie in unserer Kirche heute
ins Hintertreffen geraten ist gegenüber der Leitung.
Die Gründe dafür sind sicher sehr vielfältig.
∙    Einer der Gründe liegt allerdings auch bei uns selbst:
    Inwieweit leben wir wirklich unsere Taufe?
∙    Erinnern wir uns effektiv daran,
    daß Taufe nicht in erster Linie eine Verpflichtung
    auf Moral und auf kirchlichen Gehorsam zum Inhalt hat,
    sondern daß uns in Taufe und Firmung
    die Fülle des Geistes Gottes geschenkt ist?
∙    Wissen wir noch, daß wir in Taufe und Firmung
    mit Christus gesalbt sind zu Priestern, Königen und Propheten?
    Und hat das für uns irgendeine Konsequenz?
∙    Bedenken wir hier und da,
    welche Konsequenzen es haben müßte,
    wenn wir allen ernstes ‘mündige Christen’ genannt werden?
    Damit werden wir doch regelrecht aufgefordert
    - hoffentlich nicht nur formelhaft liturgisch -
    den Mund aufzumachen - sowohl in der Kirche,
    als auch in der Welt.
Im Zusammenhang von Taufe und Firmung aber
kann das nur bedeuten:
Den Mund aufzumachen als Prophet und als Prophetin,
und das in der Kraft und in der Sendung des Geistes Gottes.
Dazu bedarf es keiner eigenen Dialog-Einladung!
In den Gemeinden des Paulus stand man einfach auf,
wenn man etwas zu sagen hatte.
Und das war damals eine so selbstverständlich geübte Praxis,
daß Paulus ermahnen mußte,
man solle doch bitte nacheinander reden,
“denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung,
sondern ein Gott des Friedens”. (cf. 1. Kor. 14, 26-33)

Abschließend noch ein Wort zur ‘Unterscheidung der Geister’.
Die nämlich ist notwendig, um prophetische Rede
von selbstverliebtem Geschwätz zu unterscheiden.
‘Falsche Propheten’ gab’s schließlich schon zu biblischen Zeiten.
Einige Kriterien können helfen,
die Spreu vom Weizen zu trennen -
sowohl im Blick auf sich selbst, als auch auf andere:

∙    Jede prophetische Botschaft muß sich
    von der biblischen Botschaft her legitimieren lassen.
∙    Die Glaubwürdigkeit des ‘Propheten’, bzw. der ‘Prophetin’
    erweist sich in der Übereinstimmung
    von prophetischer Rede und persönlichem Leben.
∙    Kennzeichen einer wahrhaft prophetischen Botschaft ist es,
    daß sie zur Auferbauung der Gemeinde
    und damit der Kirche Jesu Christi beiträgt.
∙    Bedeutsam ist sodann die Frage, ob derjenige,
    der sich prophetisch für die Gotteswahrheit engagiert,
    wirklich solidarisch ist mit den ‘Opfern’,
    d.h. mit denjenigen, die durch die Leugnung der Gotteswahrheit,
    bzw. durch deren Verdrängung benachteiligt,
    an den Rand gedrängt oder gar ausgeschlossen werden.

Festzuhalten bleibt:
Nicht nur die Gesellschaft unserer Zeit,
sondern jederzeit auch die Kirche und nicht zuletzt wir alle
brauchen dringend Prophetinnen und Propheten.
Denn im prophetischen Wort verleiht letztlich Gottes Geist selbst
dem Widerspruch gegen den Ungeist dieser Welt Ausdruck
und ermutigt zu einem Leben aus dem Glauben
und in vertrauender Liebe.

Amen.