Predigt zum 7. Sonntag im Jahreskreis 'A'
am 19. Februar 2023
Lesung: Lev. 19, 1-2.17-18
Evangelium: Mt. 5, 38-48
Autor: P. Heribert Graab SJ
Diese Predigt ist weitgehend identisch mit meiner Predigt zu diesem 7. Sonntag im Jahr 2014;
aber im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine ist sie heute aktueller denn je!
Mit Seiner Bergpredigt hat Jesus
das 'alte', mosaische Gesetz zwar keineswegs verschärft;
wohl aber wählt Er einen grundlegend neuen Ansatz,
das Leben gottgefällig und menschenwürdig zu gestalten.

Im heutigen Evangelium entfaltet Er nun
diesen ganz und gar neuen und provozierenden Denkansatz
für den Umgang mit Konflikten.
Auch heute noch, nach 2000 Jahren, tun sich selbst Christen
mit Seinem Konzept von Gewaltlosigkeit und Feindesliebe schwer.
Auch Christen verwässern dieses Konzept und machen es wirkungslos,
indem sie es als ‚idealistisch‘ und wirklichkeitsfern abtun.

Dabei knüpft Jesus durchaus an das Sinaigesetz an.
Schauen Sie sich nur die heutige Lesung an,
eine Lesung aus dem Buch Levitikus, d.h. aus dem dritten Buch Mose:
Schon da geht es darum, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen
und Böses mit Gutem zu vergelten.
Neu ist allenfalls, daß Jesus nicht mehr unterscheidet
zwischen Stammesgenossen einerseits
und auswärtigen, also fremden ‚Feinden‘ andererseits.
Aber auch diese Grenzüberschreitung Jesu
ist eigentlich eine logische Konsequenz jener alten Gottes-Forderung:
„Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig!“

Es war genau genommen schon immer eine Mißachtung Gottes,
wenn Israel es als selbstverständlich ansah,
Gott liebe nur das eigene Volk!
Jahrhundertelang haben auch Christen so eng von Gott gedacht,
wenn sie z.B. glaubten, Gott ‚kämpfe‘ mit ihnen
z.B . gegen die Türken während des späten Mittelalters.
Sogar wenn Christen gegen Christen Krieg führten,
glaubten deutsche Christen beispielsweise allen Ernstes,
Gott kämpfe mit ihnen gegen die Franzosen: „Gott mit uns“
stand damals wahrhaftig auf den Koppelschlössern der Soldaten.

Gegen eine solche Mißachtung der ‚Heiligkeit‘ Gottes
schließt Jesus ausdrücklich die ‚Feinde‘ in das Liebesgebot mit ein.
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“.
Um das richtig zu verstehen,
sind ein paar Anmerkungen zum Verständnis von Liebe wichtig.
Nach einem weit verbreiteten Sprachempfinden unserer Zeit
ist Liebe vor allem oder gar ausschließlich ein Gefühl.
Ein solches Gefühl von Liebe aufzubringen gegen einen ‚Feind‘
oder auch nur gegen jemanden, der mich schädigt oder hintergeht,
ist sehr schwierig oder sogar unmöglich -
mal ganz davon abgesehen,
daß Gefühle sich nur begrenzt willentlich beeinflussen lassen.

Die Bibel jedoch und auch die christliche Tradition
verstehen unter Liebe eine solidarische Haltung und persönliche Praxis.
Nicht auf das Gefühl kommt es an,
sondern darauf, daß ich den anderen in seiner Menschenwürde achte,
daß ich ihm in der Not beistehe, und daß ich ihm Gutes tue –
so, wie ich mir selbst in einer vergleichbaren Situation Gutes tun würde.
Und selbstverständlich bedeutet Liebe in diesem Verständnis auch,
auf Rache und Vergeltung zu verzichten.
Das alles sollten wir selbstverständlich auch bedenken
im Blick auf den aktuellen Krieg in der Ukraine:
Auch da kämpfen vor allem Christen gegen Christen!

Für Jesus sind Liebe und Gewalt unvereinbar.
Daher besteht Er strikt auf Gewaltlosigkeit:
„Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand,
sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt,
dann halt ihm auch die andere hin.
Und wenn dich einer vor Gericht bringen will,
um dir das Hemd wegzunehmen,
dann laß ihm auch den Mantel.“

Bis auf den heutigen Tag wird dieses Prinzip der Gewaltlosigkeit
auch von Christen für unrealistisch, naiv und lächerlich gehalten.
Mein Recht muß ich doch notfalls mit Gewalt durchsetzen können -
auch wenn ich dafür als Bürger eines Rechtsstaates
die staatliche Gewalt in Anspruch nehme.
Und im Verhältnis zwischen Völkern
ist kriegerische Gewalt zur Verteidigung des Rechts
nach wie vor ein scheint’s unverzichtbares Mittel.

Natürlich steht auch Jesus ein für das Recht.
Er ist jedoch felsenfest überzeugt:
Das Recht läßt sich gewaltlos durchsetzen!

Bei den großen Demonstrationen der Friedensbewegung
gegen den sogenannten NATO-Doppelbeschluß Anfang der 80-er Jahre
habe ich selbst an einem der vielen
vorbereitenden Trainingsseminare zur Gewaltlosigkeit teilgenommen.
Und ich denke: Diese Seminare waren erfolgreich!
Ob der NATO-Doppelbeschluß
oder die massenhaften Demonstrationen der Friedensbewegung
schließlich zu Abrüstungsverträgen führte, ist zwar umstritten;
aber vermutlich haben viele Faktoren dazu beigetragen:
Nicht zuletzt das überwältigende Engagement der Friedensbewegung!

Es stellt sich die Frage,
welche Auswirkungen es wohl haben könnte,
wenn die großen Industrienationen wenigstens ebensoviel Geld
für Friedensforschung und friedensbildende Maßnahmen
in die Hand nähmen,
wie sie es für Rüstung und Rüstungsforschung tun.
Ich bin überzeugt, der Gewaltlosigkeits-Optimismus Jesu
würde sich in der Realität bestätigen.

Frieden und Versöhnung sind gewiß nicht kostenlos zu haben.
Es geht vielmehr darum,
wirklich in Frieden und Versöhnung zu investieren,
und dabei - vielleicht manchmal mühsam - zu lernen.
Wir haben schließlich - mühsam genug - auch gelernt,
wie sehr Gewalt in der Erziehung neue Gewalt hervorruft.
 
Diesen Lernprozeß sollten wir uns zumuten -
sowohl im Blick auf  gewaltfreie Lösungsmodelle
für unsere ganz persönlichen Konflikte,
wie auch auf gewaltfreie Lösungsmodelle
für die großen Konflikte dieser Welt.
Solche Friedensinvestitionen und Lernprozesse
sind jenseits aller Gefühle ein Ausdruck jener Liebe,
für die Jesus einsteht -
sogar bis zu Seinem scheinbaren Scheitern am Kreuz.
Nur auf diesem Wege konsequent gelebter Liebe
und mehr und mehr praktizierter Gewaltlosigkeit
kann sich das Reich Gottes als ein Reich des Friedens entfalten.

Amen.