Predigt zum 32. Sonntag im Jahreskreis A
am 12. November 2017
Lesung: Weish. 6, 12-16
Evangelium: Mt. 25, 1-13
Autor: P.Heribert Graab S.J.
In den Lesungen des heutigen Tages geht es um Weisheit.
Weisheit ist wesentlich mehr als Wissen,
wesentlich mehr auch als „Cleverneß“
und erst recht wesentlich mehr als „Gerissenheit“.

Was versteht die Heilige Schrift unter „Weisheit“?
Genau genommen ist „Weisheit“ eine Kunst:
•    Vor allem geht es um die Kunst,
    in allem Gottes gute Ordnung zu erkennen und zu realisieren,
•    um die Kunst herauszuspüren, wie alles in dieser Welt
    miteinander und mit dem Ganzen in Beziehung steht,
    und dann auch in allem einen Sinn zu entdecken,
   den man nicht ungestraft vernachlässigen kann.
•    Es geht also auch um die Kunst, das eigene Leben zu meistern,
•    um die Kunst gelingender Beziehungen,
•    um die Kunst, anderen einen guten Rat zu geben.

Die Weisheit hat ihren Sitz nicht wie das pure Wissen im Verstand,
sondern im Herzen des Menschen -
wir würden heute sagen: In der Mitte der Person.
Und wer aus der Weisheit lebt, die Gott schenkt,
dessen Leben gelingt.

Stille

Im biblischen Verständnis hat „Weisheit“ sogar
eine unmittelbare Nähe zu Gott.
Das Buch der Sprüche - auch ein Teil der Weisheitsliteratur -
läßt die Weisheit selbst zu Wort kommen:
Sie sagt: „Der Herr hat mich geschaffen im Anfang seiner Wege,
noch vor seinen Werken in der Urzeit;
in frühester Zeit wurde ich gebildet,
am Anfang, beim Ursprung der Erde...
Als er den Himmel baute, war ich dabei,
als er den Erdkreis abmaß über den Wassern...
Ich war seine Freude Tag für Tag
und spielte vor ihm allezeit.
Ich spielte auf seinem Erdenrund,
und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein.“ (Spr. 8,22-31)

Nichts - so sagt die Bibel - kommt der Weisheit gleich.
Alles Gold erscheint neben ihr wie ein wenig Sand.
Die Weisheit ist ein Hauch der Kraft Gottes.
Sie ist göttlichen Ursprungs.

Stille

Noch lange war es für Christen eine Selbstverständlichkeit,
daß in Jesus Christus Gottes Weisheit aufstrahlt,
und daß wir um so mehr an dieser Weisheit Anteil erhalten,
je mehr wir uns auf Jesus Christus einlassen
und in Seiner Nachfolge leben.

Die alte „Hagia Sophia“ in Konstantinopel,
die Kirche der „Heiligen Weisheit“ also,
ist/war eine Christuskirche!
Und indem wir Jesus Christus heute in der Liturgie feiern,
feiern wir die Weisheit,
die Mutter und Lehrerin aller Künste, Wissenschaften und Tugenden;
Tochter Gottes, Retterin der Welt,
Weggefährtin im Leben…

Stille

Betrachten wir noch kurz das Evangelium
von den klugen und törichten Jungfrauen.
Häufig wird dieses Gleichnis mißverstanden als eine Gerichtsdrohung,
und die „verschlossenen Türen“ könnten uns Angst machen.
Aber genau darum geht es nicht!
Das Gleichnis spricht vielmehr von einer unermeßlichen Freude:
Die Ankunft des Bräutigams steht für die endgültige Erfüllung
der letzten und tiefsten Sehnsucht eines jeden Menschen,
für die glückliche Vollendung menschlichen Lebens schlechthin.
Die Verheißung Jesu vom Kommen des Reiches Gottes
wird endlich Wirklichkeit!
Eine größere Freude kann’s überhaupt nicht geben.

Die Weisheit der klugen Jungfrauen besteht darin,
ganz und gar auf diese Erfüllung ihres Lebens eingestellt zu sein.
Sie leben jetzt schon aus der Kraft der Liebe auf Gottes Zukunft hin.
Für diese Kraft und Energie der Liebe steht das Öl,
das ihnen nicht ausgeht,
mag die Zeit des Wartens auch manchmal ermüdend sein.

Stille

Die törichten Jungfrauen hingegen leben in den Tag hinein
und erfahren schließlich:
Wer zu spät kommt, weil er das Wesentliche des Lebens versäumt hat,
den bestraft das Leben.

Das Gleichnis will uns also nicht entmutigen,
sondern uns die Augen öffnen für das,
worauf es für ein gelingendes Leben wirklich ankommt.

Amen.