Texte zur Spiritualität  


Auf dieser Seite finden sich mehrfach Hinweise auf den "Bund Neudeutschland" (ND) und auf Aktivitäten in dessen Umfeld. Diese Gemeinschaft wurde 1919 als katholische Schülerbewegung gegründet und maßgeblich durch die Mitarbeit von Jesuiten geprägt. Heute gliedert sich der Bund Neudeutschland in die "Gemeinschaft katholischer Männer und Frauen" (KMF) und die "Katholische Studierende Jugend" (KSJ). Auch am "Hirschberg-Programm" des Bundes Neudeutschland, sowie an der "Plattform" der KSJ wirkten Jesuiten maßgeblich mit. Daher spiegeln beide Programme - wenn auch in unterschiedlicher Akzentuierung und in der Sprache der jeweiligen Zeit - ignatianische Spiritualität. Die "Urfassung" des Hirschberg-Programms stammt aus dem Jahre 1923, die aktuelle, hier wiedergegebene Fassung aus dem Jahr 1994.


HIRSCHBERG-PROGRAMM
des Bundes Neudeutschland

Würzburger Fassung 1994

Präambel

Der Bund Neudeutschland versteht sich als Lebensgemeinschaft engagierter Christinnen und Christen. Er wurde nach dem Ersten Weltkrieg als katholischer Schülerverband gegründet. Ausgerichtet auf Christus und beeinflußt von der Jugendbewegung, gab er sich 1923 auf Schloß Hirschberg sein Programm. Der Bund wurde von den Nationalsozialisten verfolgt und verboten. Einzelne und Gruppen leisteten aktiven Widerstand. Nach dem Krieg wurde der Bund neu gegründet (Bad Brückenauer Fassung 1948) und bekannte sich zur kirchlichen Erneuerung (Münchener Fassung 1965).

Der Bund Neudeutschland (ND) gliedert sich in:

Katholische Studierende Jugend, Schüler-Gemeinschaft (KSJ/ND)
Katholische Studierende Jugend/Hochschulring (KSJ/HSR)
Gemeinschaft katholischer Männer und Frauen (KMF)

In den Gruppen unseres Bundes erleben wir Solidarität und Freundschaft, erfahren Rückhalt und Orientierung, gewinnen Lebensfreude und Hoffnung. Kennzeichnend für die Mitglieder des Bundes war und ist die Bereitschaft, Kirche, Politik und Gesellschaft mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen.

In Fortsetzung dieser Tradition und im Bewußtsein des Wandels in Bund, Kirche und Gesellschaft geben wir unserem Programm 1994 in Würzburg diese Fassung.

I. Herausforderungen unserer Zeit

Der wissenschaftlich-technische Fortschritt bewirkt immer raschere Veränderungen in vielen Lebensbereichen. Der beständige Wandel ist zum Merkmal unserer Zeit geworden und erfordert neue Sehweisen, Beurteilungen und Handlungswege. Chancen und Risiken sehen wir dabei vor allem in folgenden Spannungsfeldern:

•    Der Freiraum des einzelnen ist groß wie nie zuvor, oft verstellen übersteigerte Einzelinteressen den Blick auf das Ganze.
•    Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist ein Grundrecht; ihre Verwirklichung ist aber noch lange nicht erreicht.
•    Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten entwickeln sich in ungeahnter Weise; Verstehen und Verständigung werden zunehmend schwieriger.
•    Der Reichtum an verfügbaren Gütern in der Welt nimmt zu; der größere Teil der Weltbevölkerung leidet unter ihrer ungerechten Verteilung.
•    Die Völker wachsen zusammen, die Begegnung der Kulturen ermöglicht gegenseitige Bereicherung; doch immer wieder erfahren wir Mißtrauen, Gewalt und Unfrieden.
•    Die wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten eröffnen große Gestaltungsspielräume; der Mißbrauch von Ressourcen zerstört die Schöpfung und damit unsere Lebensgrundlagen.
•    Im wiedererwachenden Interesse an Religion und Religiosität erkennen wir die Sehnsucht nach Sinn und Orientierung; die Kirche aber wird von vielen Menschen nicht als sinnstiftende Gemeinschaft, sondern als unbewegliche Institution wahrgenommen.
•    Resignation, Verweigerung und Extremismus sind für uns keine Löungen. Wir nehmen die Herausforderungen unserer Zeit an.

II. Jesus Christus - Mitte unseres Bundes

Jesus Christus ist der Weg Gottes zu uns und darum unser Weg zu Gott. Die Menschwerdung Gottes in Jesus ist ein deutliches Zeichen, daß Gott den Menschen und seine Welt nicht aufgibt.
Jesus ist uns Vorbild als Mensch. Uns fasziniert seine konsequente Gottes- und Menschenliebe. Er machte den Menschen Mut, das Leben zu wagen, und achtete sie höher als überkommene Regeln und Gesetze.

Am Kreuz durchlitt er die Verlassenheit des Menschen und erfuhr die Unbegreiflichkeit des schweigenden Gottes. Seine Solidarität mit allen Verfolgten und Geschändeten zeigt: Schuld und Leid sind nicht mehr ausweglos. Das Kreuz ist zum Zeichen der Erlösung geworden. Seine Auferstehung ist der Ursprung der Hoffnung: Gott will nicht den Tod, sondern das Leben. Christi Gegenwart im Heiligen Geist ermutigt uns, an der Vision des angebrochenen Gottesreiches festzuhalten.

Wo Menschen glaubwürdig für die Würde des Menschen, für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung eintreten, folgen sie seinem Ruf und arbeiten mit am Reich Gottes.

III. Neue Lebensgestaltung in Christus

Durch die Begegnung mit Jesus Christus wollen wir im geschwisterlichen Miteinander unser Leben erneuern. Maria, die Mutter Jesu, und die Heiligen bestärken uns, dem oft unerwarteten und nicht immer bequemen Ruf Gottes zu folgen.

Die biblische Botschaft gibt uns dazu Lebensmut und Zuversicht und weist uns den Weg. Auf diesem Weg erfahren wir Zeichen der Nähe Gottes im Dienst an den Menschen, in der Weitergabe des Glaubens und dem Leben aus dem Evangelium. In den Sakramenten und vielen anderen Ausdrucksformen unseres Glaubens deuten und feiern wir die oft widersprüchlichen Erfahrungen unseres Lebens.

Auf diese Weise sind wir Teil der Kirche. Ihr ist die Botschaft Jesu anvertraut, und sie hält sie lebendig.

Wir stehen zu ihr trotz all ihrer menschlichen Begrenztheit und übernehmen Verantwortung in unseren Gemeinden und Gemeinschaften.

Als mündige Christinnen und Christen setzen wir uns ein für eine geschwisterliche Kirche. Wir streiten für die Änderung von Umgangsformen und Gesetzen, die Menschen ausgrenzen und verletzen. Die Mitwirkung an kirchlichen Entscheidungen ist uns ein wichtiges Anliegen. Wir erstreben die Einheit der Christen in versöhnter Verschiedenheit und den Dialog mit Menschen anderer Glaubensüberzeugungen.

Unser Bund steht allen offen, die mit uns seine Ziele verwirklichen wollen. Im Bund begegnen sich Menschen aller Lebensalter, verschiedener Ausbildungsphasen und Berufe. Ihre lebendige Gemeinschaft macht die Besonderheit unseres Bundes aus. Im offenen Gespräch, im Aushalten unterschiedlicher Standpunkte, in gemeinsamem Handeln und gegenseitiger Hilfe sehen wir Verpflichtung und Chance.

Wir betonen die besondere Bedeutung der Familie. Es liegt uns daran, daß Ehe in Liebe und Treue gelingt und Bestand hat. Wir achten alle Menschen, die in Vertrauen und Liebe gemeinsam leben.

Wir setzen uns ein für eine christlich geprägte Erziehung und eine weltweit gerechte Verteilung von Bildungschancen. Wir bemühen uns um umfassende Bildung und Kompetenz im Beruf. Wir engagieren uns für Staat und Gesellschaft und wirken an politischen Entscheidungsprozessen mit. Wir nehmen unsere Verantwortung für die Ausgestaltung der inneren Einheit des vereinten Deutschland wahr.

Alle Menschen sind nach Gottes Bild geschaffen und damit gleicher Würde. Wir setzen uns ein für Gerechtigkeit, für Menschen in Not und für Menschen am Rand der Gesellschaft. Wir treten ein für eine menschenwürdige Arbeitswelt, eine gerechte Weltwirtschaftsordnung und ein offenes Europa in der Einen Welt. Die Option für die Armen bestimmt unser Handeln.

Frieden geht von denen aus, die lieben. Deshalb suchen wir den Dialog und begegnen in Achtung fremden Kulturen. Wir sind bereit zur Verständigung und wenden uns gegen Unfrieden und Gewalt.

Frieden mit der Natur ist Ausdruck der Ehrfurcht vor Schöpfer und Schöpfung. Wir setzen uns ein für ein Wirtschaften, das diesen Frieden wahrt, und halten Maß im Verbrauch.

Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung - diesen Herausforderungen stellen wir uns als einzelne und gemeinsam im Bund mit seinen Teilgemeinschaften.

Wir verpflichten uns zu einem einfachen Leben.