In diesen wochen und Monaten sind die
Flüchtlinge, die zu uns kommen, ein
dominantes Thema in der Öffentlichkeit. Die Aufgabe, mit ihnen
umzugehen, wird
vermutlich lange Thema bleiben, da die politischen und wirtschaftlichen
Fluchtgründe in Afrika, dem Orient und vielen anderen Teilen der
Welt
fortbestehen, und die Aufnahme hier, in Europa, nicht
selbstverständlich ist.
Das waren Aufnahme und freundlicher Umgang mit Fremden nie. Auch in der
Bibel
kommt dieses Thema vor, keineswegs nur am Rande. Und die Bibel bezieht
eine
sehr klare Position. So heißt es beispielsweise in der Tora:
„Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht
unterdrücken.
Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein
Einheimischer gelten
und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde
in
Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.“ ( Lev 19,
33-34)
Der Tenor der Bibel Fremden, Armen und Flüchtlingen gegenüber
ist durchweg
freundlich. Erstaunlich ist jedoch, dass hier und an etlichen weiteren
Stellen
die Fremden nicht nur als Einwohner zweiter Klasse geduldet, sondern
Einheimischen gleichgestellt, ja geliebt werden sollen, wie man sich
selbst und
seine Nächsten liebt. Eine Unterscheidung zwischen politisch
Verfolgten und
Armutsflüchtlingen, die die Bibel durchaus kennt, wird hier
übrigens nicht
getroffen: es ist einfach vom „Fremden“ die Rede. An
anderen Stellen erscheint
der Umgang mit den Fremden und Schwachen als Maß für die
Humanität der
Gesellschaft (z.B. Sach 7, 9-11) bzw. wendet sich deren
Inhumanität schließlich
gegen diese selbst (Weish 19, 13f).
Zur Begründung verweist der Text auf den Aufenthalt der eigenen
Vorfahren in
der Fremde: Ägypten, zunächst Ort der Rettung vor Hungersnot,
wird allmählich
zum Ort wachsender wirtschaftlicher und politischer Unterdrückung,
bis die
Enkel sich entschließen müssen, die „Fleischtöpfe
Ägyptens“ zurückzulassen und
zu fliehen. Das Durchleben dieses Exodus ermöglichte den
Hebräern eine
Erfahrung, die für sie als Nation und für die Ordnung ihres
Zusammenlebens von
überwältigender Bedeutung war: die Erfahrung eines Gottes,
der da ist und wirkt.
Wir dürfen nicht vergessen, dass
auch aus Europa Menschen
vor Hunger, politischer oder religiöser Verfolgung fliehen mussten
und dass
auch wir nur Fremde und Gäste sind in dieser Welt. Deswegen mahnt
Petrus: „Gebt
den irdischen Begierden nicht nach, die gegen die Seele
kämpfen.“ (1 Petr.
2,11). Ein solcher Widerstand wäre bitter nötig: Inzwischen
sind wir eine der
reichsten Regionen der Welt, die überproportional globale
Ressourcen (Energie,
Bodenschätze, Umwelt, Klima) verzehrt. Doch scheinen
Besitzstandswahrung und
Profitmaximierung allgemeines Gesetz zu sein. Ja, Gier macht unsere
wahre Welt
aus, die hinter den Fassaden unser Leben bestimmt. Sie veranlasst zu
einem
erbarmungslosen Umgang miteinander; man steht in Gefahr, andere
für seine
Zwecke auszunutzen – „und alle verlieren ihre Seele“,
ihre Humanität, ihren
Frieden.
Und da sind nun die Flüchtlinge mit ihrer
Erfahrung, alles zurückzulassen. Natürlich haben sie Angst
und Not erlebt,
etliche sind traumatisiert. Doch vielleicht können manche anderes
erzählen als
nur den Schrecken. Vielleicht ist manchen, wie den Hebräern auf
ihrer Flucht,
etwas von Sinn und Hoffnung aufgeleuchtet, von einem realen,
präsenten Gott.
Den kann man nicht kaufen. So könnten sie uns eine Perspektive
geben, die mehr
ist als Wachstum und das Weitermachen im Hamsterrad der Gier, der
Erschöpfung
und des Sinnverlustes.
P.
Bertram Dickerhof S.J.